
Warum heute gutes Reiten nicht mehr reicht
noch nie:
- wurde soviel über gutes Reiten geschrieben...
- wurden so viele Hilfsmittel/Hilfsmethoden erfunden
- war die Plattform für Horsemanship, Osteo, Physio, TA grösser
- gab es so viele Zivilisationskrankheiten wie es heute gibt
- war der Verschleiss der Pferde grösser als heute
- war die Lebenserwartung kleiner als heute
Was läuft schief? Werden wir Reiter tatsächlich immer schlechter? Braucht man immer mehr Methoden/Hilfsmittel? Immer mehr Fachleute die gerade biegen, was man selbst kaputt gemacht hat? Jeder spricht von Ursachenbekämpfung, ein fast jeder lehnt Symptombekämpfung ab. Und trotzdem kommen wir nicht aus dem Teufelskreis raus. Was läuft schief?
Diese frage stelle ich mir immer wieder. Logisch, das ich als ganzheitliche Therapeutin nur eine logische Erklärung finde. Symptombekämpfung. Wir müssen an die Ursache ran. Sonst wird das Durschnittsalter der Pferde weiter sinken, die Probleme der Reiter und Pferde weiter zunehmen, Therapeuten und Tierärzte weiter gutes Geld verdienen (und ja, ich lebe davon), Futtermittelindustrie weiter eine grosse Lobby haben und, und, und...
Nur wo liegt die Ursache? ob es die alleinige Ursache ist, oder ob es eine von mehreren ist, sei dahin gestellt. Eine der Ursachen, für mich die wichtigste und prägnanteste ist die Zucht.
Seit einigen Jahren, werden vermehrt Gangwunder gezüchtet. Viel Schub, viel Beinaktion, grosse Übersetzung. Das ganze geht auf Kosten der Statik und des Schwerpunktes des Pferdes. Und somit auf die Tragfähigkeit des Pferdes.
Für das Fluchttier Pferd ist die Balance im Körper überlebensnotwendig. Denn nur ein ausbalanciertes Pferd ist jederzeit in der Lage zu reagieren. Um es deutlich beim Wort zu nennen: unsere Pferde sind körperlich behindert - und nicht selten dadurch geistig behindert!
Das Modewort "Trageerschöpfung", welches oft mit dem Reiter in Verbindung gebracht wird, beschreibt oftmals die Situation bereits ungerittener Pferde, ja sogar von Fohlen. Wenn ein Fohlen schon sich alleine nicht "tragen" kann, wie soll es denn jemals einen Reiter ohne Schaden tragen können?
Als Beispiel Hengst Londonderry (man kann einen x-beliebigen Hengst nehmen) - Rückständige Vorhand, weicher Rücken im Lendenbereich (Kraftübertragungszentrum), kurzer Rücken, schiebendes Becken, welches keine natürliche Tragkraft hat, Hinterbeine höher als Vorderbeine. Der Schwerpunkt ist dabei deutlich weiter vorn, als dieser eigentlich sein dürfte.
Die Biomechanik eines solchen Pferdes bringt zwangsläufig Probleme mit sich. Beritten oder unberitten spielt dabei gar keine so grosse Rolle. Biomechanisch funktioniert das Pferd nicht korrekt und somit nicht gesundheitserhaltend. Die Hinterbeine müssen immer soviel Tragkraft haben, dass sich ein untrainiertes Pferd selbst tragen kann. Dies wiederum bedingt ein Becken welches im Körper eine "Nullstellung" hat. Die Nullstellung erlaubt dem Becken zu schieben und zu tragen (Die grossen Gelenke Hüfte und Knie sollten mit dem Sitzbein ein gleichschenkliges Dreieck bilden, resp. Knie und Hüfte sollen im Lot stehen). Nur wenn der Rücken genügend lang (im Verhältnis zu der Beinlänge) und kräftig ist, ist dieser in der Lage den Schub aus der Hinterhand nach vorne zu bringen. Und dieser kann nur kräftig genug sein, wenn das Becken fähig ist zu tragen. Dabei sprechen wir eigentlich noch nicht von einer Aufrichtung oder erster Schritte zur Versammlung, sondern nur davon, dass sich ein Pferd selbst tragen kann. Die körperliche Behinderung heutiger Pferde besteht darin, dass es die körperliche Voraussetzung zum tragen nicht mehr mitbringt.
Das Gebäude des heutigen Pferdes bringt viele Probleme mit sich. Alleine die Vorverlegung des Schwerpunktes durch die hohen Hinterbeine mit viel Schwung (Becken gekippt) und Raumgriff (schaut Euch mal die Linie Knie/Ellenbogen an) bringt das Pferd in eine Abwärtshaltung. Jedoch ohne Tragkraft hinten. Das Pferd rennt so quasi immer seinem Schwerpunkt hinterher - und das sprichwörtlich. Das ist fast wie mit Vorlage und auf den Zehenspitze die Treppe runter laufen. Wenn das Mensch tun will, dann muss er 1. schnell gehen und desto länger die Treppe wird desto schneller und 2. die Bauchmuskeln anspannen, damit er nicht vorne rüber fällt. Genau das Selbe müssen heute viele Pferde tun, wenn sie auf flachen Böden gehen. Baumuskeln konstant anspannen führt zu Verspannungen, welche wiederum dazu führen, dass die freie Atmung behindert ist und das Pferd (und auch der Mensch auf der Treppe) hält den Atem an, Verspannt sich immer mehr, atmet immer weniger... bis das Pferd "austickt" und sich sprichwörtlich Luft verschafft. Und nun stellt Euch vor, das Pferd wird wie heute oft praktiziert vorwärts/abwärts geritten...
Unrittig? - trotz Osteo/Chiro/Physio wiederkehrende Verspannungen? - Sehnen- Fesselträgerprobleme? Durchbrenner? Triebig? "Sturer Bock" die Liste kann beliebig erweitert werden...
Wenn ich Reiter höre, die mir sagen, das Pferd “verarscht“ mich, trickst mich aus oder ähnliches, muss ich mich dagegen aussprechen... Rufen wir uns in Erinnerung was das Pferd wirklich ist: ein Fluchttier. Pferde sind reine Instinkttiere, mit keinerlei strategischem Denken.
Das Kapital des Pferdes ist der Körper. Nur ein gut funktionierender und zu kontrollierender Körper ist stark und überlebensfähig. Macht der Körper Probleme wird das Pferd rangtiefer und schwächer, steigt aber in der Liste der Beutegreifer unweigerlich nach oben...
Wo ist dann die Motivation des Pferdes uns Reiter zu “verarschen“ und zu betrügen? Strategie ist kein pferdisches Ding, also kommt das Pferd auch nicht auf die Idee uns rein zulegen. Klar Pferde sind nicht blöd und durchaus lernfähig. So kann natürlich ein Pferd lernen, wie es uns Menschen austricksen kann. Dazu braucht es aber einen Lehrer - den Menschen. Das Pferd will uns also immer noch nicht austricksen, sondern es wurde ihm beigebracht, wie es sich zu verhalten hat, um gewissen Situationen auszuweichen oder zu entkommen.
Ein Fluchttier welches körperlich eingeschränkt ist oder Schmerzen zeigt ist ein leichtes Beutetier. Auch innerhalb der Pferdegruppe werden schwache Tiere im Rang immer tiefer, dadurch noch schwächer und noch ein leichteres Beutetier.
Wenn also ein Pferd taktunklar ist, kein Gewicht aufnehmen “will“, keine Anlehnung sucht, davon rennt oder triebig ist, dann nicht, weil es einfach so ist, sondern weil es einfach nicht kann. Nicht können bedeutet für das Fluchttier Pferd grossen Stress, steigt es doch in der Beutegreiferliste unweigerlich auf. Pferde wollen immer das Beste geben und stark sein. Nur so ist die Überlebenschance gross.
Leistet das Pferd aktiven (Pferd rennt, buckelt, steigt, wird aggressiv etc.) oder passiven (triebig, schlurfend, resigniert, bleibt stehen wie ein “sturer Bock“ etc.) Wiederstand oder geht unrund, klemmig, gar lahm dann nur weil es nicht anders kann und Schmerz vermeiden will. Unter diesem Aspekt wird deutlich wieviel Schmerz ein Pferd aushalten kann und wieviel Probleme und Schmerz ein Pferd haben muss um deutlich zu werden - denn zeitgleich mit dem offensichtlichem Schmerz gesteht das Pferd die Schwäche ein und präsentiert sich augenscheinlich seinem Jäger als Festmahl.
Unsere Aufgabe muss es sein - mehr denn je - dass ein Pferd sich in seinem Körper wohl fühlen kann und auf dessen Funktion vertrauen darf. Nur so kann das Pferd stressfrei und gesundheitsfördernd gearbeitet werden. Alles andere geht zu Lasten der Gesundheit, auf Knochen und Gelenke und nicht zu Letzt auf die Psyche der Pferde!